Ein neuer Film entsteht im Sandmann-Trickfilmstudio
Ein NBI (Neue Berliner Illustrierte) Beitrag aus der Ausgabe 15/1976
Was wäre wohl, wenn das Sandmännchen einmal ausfiele? Nun, wer Kinder zur Nachtruhe betören muss, kann nur hoffen, dass sein Helfer nie ausbleibt. Seit dem 22.November 1959, jeden Abend um 18.50 Uhr, ertönt das Sandmann-Lied, und es erscheint der 27 cm kleine Mann. Es ist immer wieder überraschend zu sehen, wie er kommt: Mal herniederschwebt im Hubschrauber, ... , mal angerollt mit einem Schneepflug, auf der Leiterfeuerwehr, mit einem Zementwagen. 80 Transport-Varianten, meist in Farbe, stehen derzeit für den Sandmann im Depot. Neue Einfälle werden inszeniert. Noch in diesem Jahr wird sich der Sandmann von einem molligen Elefanten zu Zirkuskindern tragen lassen und auf einem Pferd zu Steppkes in die Mongolei reiten.
Make-up vor den Filmaufnahmen. Letzte Startvorbereitungen durch Nationalpreisträger Harald Serowski.
"Aber in einem Taxi bist Du noch nie gekommen. Dabei ist mein Vati Taxifahrer." An den Sandmann gehen viele Briefe, mehr als hundert im Monat. Sie bringen Wünsche von den Kleinen und Hinweise von den Großen, meist zu technischen Details. Die Taxifahrt ist übrigens auch in diesem Jahr zu erwarten, ebenso ein Besuch im Kinderkrankenhaus, den ein Sprössling angeregt hat.
Der Sandmann ist vor und nach dem Abendgruß genau drei Minuten und zwanzig Sekunden lang zu sehen. Für eine solche Rahmenhandlung braucht ein Drehstab im Puppenstudio des DDR-Fernsehens einen ganzen Monat zum Entwerfen, Nähen, Basteln, Szenebauen, Trickfilmen. Hat der Sandmann einen seiner Schwebeschrittchen über den Bildschirm gesetzt, ist er dafür in 14 Phasen abgelichtet worden.
Nationalpreisträger Gerhard Behrendt ist der "Vater" des Sandmanns. Zum Vorbild nahm er sich den Schlafsand streuenden Kapuzenmann der Dichter Hans Christian Andersen und E.T.A. Hoffmann.
Wer im Puppenstudio des Fernsehens arbeitet, muss rührende Ausdauer, Phantasie und Fertigkeit haben. Der Vater des Sandmannes, Nationalpreisträger Gerhard Behrendt hat sie. Mit 30 Jahren lehrte er seinerzeit - vor sechzehn Jahren also - den Sandmann das laufen. Diesen Sandmann haben sie im Puppenstudio schon unzählige Male gebastelt. Wenn Gerhard Behrendt an seinen ersten zurückdenkt, dann meint er, dass der Sandmann heute im Gesicht ein bisschen dünner geworden ist. Aber er findet ihn gar nicht mehr, den Ur-Sandmann. Ihn hat nämlich vor etwa eineinhalb Jahren ein studientreibender Professor aus Uruguay in freundlichem Missverständnis davongetragen. Eigentlich müsste dieser Beitrag ab P10 zugelassen sein. Es macht vielleicht zu vorwitzig, wenn der lesefrühreife, siebenjährige Knabe hier erfährt, dass ein Gartenzaun in der Sandmann-Landschaft aus einem Plaste-Abwaschbecken-Schoner geschnitten sein kann und die Rundumleuchte auf der Straßenkehrmaschine der rote, untere Teil eines Salzstreuers ist, dass der Traumsand schließlich als gehäckselter Faschingsflitter im Konservenglas auf dem Regal steht. Im Puppenstudio des Fernsehens werden nicht nur die Rahmenhandlungen, sondern auch geschlossene Sandmann-Filme von 13 Minuten Länge und andere Puppentrickstreifen für den eigentlichen Abendgruß, z.B. "Die Spielzeugkiste" gedreht. In Vorbereitung ist gerade eine Serie mit dem Nahmen "Knetezoo", und ab Oktober sind Weltraumabenteuer mit "Rolli und Molli auf dem Blumenstern" angesagt. Es kann nicht alles Kommende aufgezählt werden, auch nicht in wie vielen Ländern das Sandmännchen aus Mahlsdorf aus dem Fernseher winkt, in einigen jedenfalls serienweise.
Autorin: Karin Wendt
Fotos: Steinberg, Nkobi
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